Reggae Jam 2024 – Spotlights

30 Jahre Reggae Jam

Gratulation! 30 Jahre erst einmal hinzubekommen, ist eine bewundernswerte Angelegenheit und zeugt von viel Passion für die Musik, eine große Portion Mut und Durchhaltevermögen. Alle diese Qualitäten hat sich Sheriff mitsamt seiner Mitstreiter*Innen über all die Jahre bewahrt und so wurde das Jubiläum in diesem Jahr ausgiebig gefeiert. Wie üblich gab es mehrere Bereiche: die beiden Hauptbühnen im Klostergarten, das Roots Camp, die Riverside Disco sowie das große Dancehall-Zelt. Überall war viel los. Im kommenden Bericht sollen einige Spotlights auf einzelne Künstler*Innen gerichtet werden, die mit ihren Auftritten besonders aufgefallen sind. Bei so vielen Aktivitäten kann nicht der Anspruch bedient werden, alles abzubilden, was gelaufen ist. Zudem sind es subjektive Eindrücke. Wer Lust hat, seine eigenen Highlights zu feiern, kann hierfür gerne die Kommentarfunktion unter diesem Beitrag nutzen.

Freitag, 26.7.24

Nachdem Irie Miah, Mystical Fyah, Schwarzpaul und Mellow Mark ein angenehmes Ankommen auf dem Festivalgeläde gestaltet haben, legte mit Chi Ching Ching ein noch recht neuer Name in Sachen Dancehall auf der Red Stage los.

Seine Performance war eine erfrischende Mischung aus Gesang und Tanz. Chi Ching Ching ist selbst seit vielen Jahren in der jamaikanischen Dancehall-Street Dance Szene unterwegs und kombiniert seine Tunes, wie z.B. “Jamaica A Chop”, mit feinen Dance-Moves. So auch in Bersenbrück, wo er nach einigen Tunes eine Gasse im Publikum von der Bühne bis hin zum FoH bilden ließ, die er ausgiebig für seine Moves nutzte und Besucher*Innen dazu animierte, mit ihm zu tanzen. Die später dazugekommenen Tänzerinnen auf der Bühne unterstrichen die energiegeladenen Tanz-Show zudem.

Samora sorgte für den ersten Auftritt einer Dame auf der großen Bühne bei diesem Festival. Charmant und mit viel Soul führte sie durch ein sympathisches Programm. Überraschend bat sie am Ende der Show Natty King auf die Bühne, um mit ihm gemeinsam das vor Kurzem erschienene Duett “You Give Me Love” zu performen. Eine gelungene Überraschung.

Mellow Mood aus Italien folgten mit ihrem energiegeladenen Set. Die beiden Zwillinge, Jacopo und Lorenzo Garzia, haben 2005 mit ihrer Band angefangen und gehören damit zu den erfahrenen Performern auf den Festivalbühnen. Mit ihren Hits, wie etwa “Mr. Global” und “Miss Mary”, haben sie auch in diesem Jahr wieder das Publikum gut unterhalten. Das gilt auch für Natty King, der zusammen mit House Of Riddim bereits im vergangenen Jahr dabei war. Bekannt wurde Natty King 2005 mit seinem Hit “No Guns To Town”, der auch in Bersenbrück gespielt und gefeiert wurde.

Luciano, The Messenger, fiel leider aus. Grund dafür seien Visa-Probleme gewesen, wodurch der Sänger im Transitbereich des Flughafens in Düsseldorf fest saß. Etliche Bemühungen, eine Ausnahme zu erreichen, seinen gescheitert, verkündete Sheriff auf der Bühne. Das Fehlen von Luciano wurde von etlichen Fans hörbar bedauert. Sein Auftritt hätte gut zum 30. Jubiläum des Festivals gepasst.

Der Rest des Abends war ganz in der Hand von Busy Signal. “Reggae Music Again”, “Dreams Of Brighter Days” und “Free Up”, um nur einige Tracks aus seinem umfangreichen Backkatalog zu nennen, kamen wieder einmal durchweg gut an und wurden mitunter frenetisch mitgesungen.

Samstag, 27.7.24

Iqulah hat zusammen mit seiner Band und dem Auftritt am Nachmittag vor allem die Rootsreggae-Fans beeindruckt. Mit dem 1985 veröffentlichten Album “Rasta Philosophy” begannen “Iqulah’s teachings of Rastafari”. Ein Mann, der sehr integer auftritt und visionär agiert. Mitsamt seiner Band benutzt er den Rastafari-Glauben nicht nur als Versatzstück in seinen Songs, sondern lebt ihn durch und durch. Ein sanfter, aber kraftvoller Funke, der überspringt.

Nach einem extrem charmanten Auftritt von Sara Lugo, die in bester Laune auf der Bühne agierte, folgte ein besonderes Highlight des Festivals: der Auftritt von Mike Love. Der Hawaiianer beeindruckt auf der ganzen Welt mit seinen One-Man-Shows und war zum ersten Mal bei Reggae Jam zu Gast. Ein leidenschaftliches Set, bei dem der Künstler mit vollem Körpereinsatz sowohl sang/beatboxte, Gitarre, Keyboard und Melodica spielte als auch parallel diverse Effekte mit seinen Füßen bediente. Whow! Hinzu kam seine extrem liebevolle und engagierte Art und Weise, mit der er das Publikum sehr schnell in seinen Bann zog. Ein toller Mann mit einer unglaublichen Ausstrahlung, der zudem mit einigen Ansagen, kritische Themen dieser Welt aufgriff und zum eigenen Handeln auf einer spirituellen Ebene aufrief. Und das ganz ohne Kitsch. Lieder, wie “The Butterfly Remains” oder – zum Abschluss – “Permanent Holiday”, gingen direkt ins Herz und führten dazu, dass das Publikum mit einer zuvor kaum bei diesem Festival gehörten/gespürten Energie eine Zugabe einfordern, die aber leider aus zeitlichen Gründen nicht machbar war. Schade! Nach diesem imposanten Auftritt ist allerdings damit zu rechnen, dass jetzt mehr Menschen diesen Ausnahmekünstler auf dem Zettel haben und er (hoffentlich) öfter live in Deutschland zu hören sein wird.

Ein weiterer Höhepunkt des Tages war die Show von Nkulee Dube aus Südafrika. Von ihr ging eine unbändige Kraft aus, die schnell auf das Publikum übergriff. Die Tochter von Lucky Dube hat sich über die Jahre einen guten Namen in der Reggae-Szene gemacht und hat neben eigenen Tunes, wie “I Am Woman”, auch Lieder ihres Vaters präsentiert. Neben dem inhaltlich intensiven “Slave”, kombiniert mit dem mehrfachen Aufruf “Free Palestine”, war es vor allem die am Ende gespielte Version von “Feel Irie”, die unter die Haut ging. Lucky Dube wurde 2007 in Johannesburg erschossen. In diesem Jahr wäre er 60 Jahre alt geworden, woran bei dem Auftritt von Nkulee Dube sehr berührend erinnert wurde.

Sonntag, 28.7.24

Der Sonntag war vom Lineup her der interessanteste Tag des Festivals. Auch wenn Artists, wie Dr. Ring Ding (gute Besserung!), Rik Jam und Big Youth abgesagt hatten, war das Programm vielseitig und hochkarätig. Bereits gegen 14 Uhr betrat die aktuelle Version von Black Uhuru, bestehend aus Gründungsmitglied Duckie Simpson, Andrew Bees und der Sängerin Jojo Mac plus Band, die Bühne.

Der militante, pumpende Sound von Black Uhuru war schon immer ein Markenzeichen. Kein Kompromiss! Mit Songs, wie “Guess Who’s Coming To Dinner”, “Plastic Smile” oder “Shine Eye Gal”, hat sich die Band in die Geschichtsbücher der Reggaewelt eingraviert, auch wenn von der Ursprungsbesetzung aktuell nur noch wenig übrig ist. Der Auftritt beim Raggae Jam hat dennoch die Bedeutung ihres Einflusses noch einmal unterstrichen, auch wenn der völlig übertriebene Diss von Duckie Simpson gegen Sheriff wegen des Artworks auf dem Plakat (“Blacks don’t need no filter”) komplett daneben war. Ein wirklich übertriebener und vermeidbarer Moment.

Als Ersatz für den ausgefallenen Rik Jam wurde spontan eine illustre Gruppe von Artists zusammengeholt, die mit House Of Riddim einsprangen und allesamt sichtlich Spaß hatten. Neben Martin Zobel und Lenny Souljah (Unlimited Culture) aus Deutschland waren es Jah Tung aus Australien sowie Italee und Akeem Garrison aus Jamaika, die auf der Bühne erschienen. Am meisten beeindruckt hat dabei die Performance und Energie von Italee. Zwischendurch wurde Steffen Prase auf die Bühne geholt. Sein “Da Sandwichmaker” war über viele Jahre eine feste Institution auf dem Reggae Jam und bot neben etlichen Köstlichkeiten immer wieder Raum für spontane Sessions. Nun war es das letzte Mal, dass er sein Lager beim Festival aufgeschlagen hat. Dafür wurde ihm gebührend gedankt.

Das nächste Highlight des Festivals kam aus Dänemark. Das Guiding Star Orchestra war am Start. Die Band aus Kopenhagen gehört mit mittlerweile zwei Alben zu den ganz Großen im Bereich Instrumental-Reggaes. Mit ihren komplexen Kompositionen sind sie schon seit einigen Jahren ein Geheimtipp, der in der Zukunft auf jeden Fall noch mehr Aufmerksamkeit verdient. In dem ganzen Programm aus kraftvollen, oft zu druckvollen Beats gehörte die Band zu den leiseren, meditativen Klängen des Festivals. Ein Hochgenuss in Sachen Musik – durch und durch gut arrangiert und überzeugend. Die Band hat zunächst ein eigenes, kurzes Set mit Tracks, wie “Planting Trees”, “Firm In Adversity” und “Solid Rock” von ihrem letzten Album “Communion” gespielt, um dann mit ihrem Überraschungserfolg “Upfull Melody” zu enden. Direkt danach waren sie die Begleitband von Kumar (Raging Fyah) und haben auch dort eine sehr gute Figur abgegeben, ohne die eigenen Wurzeln zu vergessen. Ein kraftvoller Auftritt von Kumar, der mit seinen alten Hits, wie “Jah Glory”, “Barriers” und “Judgement Day”, an vergangene Zeiten angeknüpft hat und mit “Whole Wide World” einen neuen Tune präsentierte. Die Kombination mit den Dänen hat dabei hervorragend funktioniert.

Romain Virgo war ebenfalls Gast am Sonntag. Zusammen mit seiner Band ist er aktuell auf vielen Festivals unterwegs und überzeugt durch seine Bühnenpräsenz und eine kraftvoll aufspielende Band. Er war u.a. bereits bei “Gracy’s Bash” und dem “Summerjam” aktiv . Da sich sein Set kaum unterschied, verweise ich auf den Bericht zum diesjährigen “Gracy’s Bash” bei IrieItes.de.

Das Highlight am letzten Abend des Festivals in Bersenbrück war auf jeden Fall der Auftritt von Burning Spear.  Nach der Absage von Big Youth war er die einzige, verbleibende Legende vor Ort und knüpfte direkt an seinen Auftritt im vergangenen Jahr an. Shows von Burning Spear kommen einer Rastafari-Predigt gleich. Musikalisch versiert und pulsierend tragen die Riddims den repetitiven Gesang des Meisters, der nebenbei immer auch an den Congas zu hören ist. So wurde sein Auftritt beim diesjährigen Reggae Jam zu einen großen Finale mit etlichen Klassikern und einem gut gelaunten Künstler, der Musik für die Ewigkeit geschrieben hat.

Roots Camp

In diesem Jahr wurde das “Dub Camp” zum “Roots Camp” und befand sich etwas näher am Geschehen als früher. Das war durchaus praktisch, vermied man doch so den Weg durch die immer matschige “Kuhle”. Zur Freude aller Dubheads hatten neben Roots Plague das Zion Garden, Rise Up und Kunterbunt Soundsystem aufgebaut. Neben viel Bass wurde auch dieses Mal ein Rahmenprogramm angeboten, das von Yoga und Meditation bis hin zu Capoeira für Kinder, Hula Hoop, einer Malecke und etlichen andere Aktionen reichte. Irgendwie wirkt dieser Teil des Festivals immer wie eine Parallelwelt in der ganz andere Vibes zu spüren sind. Dafür ein großes Dankeschön an die Macher*Innen.

Text: Karsten Frehe, Fotos: Karsten Frehe, Merwin Goldschmidt

 

About Karsten

Founder of the Irie Ites radio show & the Irie Ites Music label, author, art- and geography-teacher and (very rare) DJ under the name Dub Teacha. Host of the "Foward The Bass"-radio show at ByteFM.